Teil 17
Gandalf: „Was Bilbo? Was hast du dort unten in Gollums Höhle gefunden?“
Bilbo:“ Meinen Mut!“
Dass ich seit Jahrzehnten bekennender Herr der Ringe-Junkie bin, lässt sich spätestens jetzt ohnehin nicht mehr leugnen. Das liegt – neben vielen anderen Dingen – daran, dass es in dieser in jeder Hinsicht wahrlich großen Geschichte immer wieder um dieses eine Thema geht: Angst und Mut. Ersteres bezwingen, Zweiteres finden.
Kein Leben vergeht, ohne die Begegnung mit diesen Themen. Auch das kleiner, alter Terrier nicht.
Auch wenn es in dieser Szene eigentlich nur eine Ausflucht war, die Bilbo rasch ersinnt, bleibt diese Phrase doch im Gedächtnis.
Ist es so?
Liegt Mut tatsächlich irgendwo herum, und man stolpert darüber?
Muss man erst durchs tiefe, finstere Tal gewandelt sein, um ihn zu haben?
Was ist Mut überhaupt?
Und wie finden Hunde ihren Mut? Was mach ich zwischenzeitlich mit ihrer Angst?
Seinen Mut findet man in dem Moment, in dem etwas Anderes wichtiger ist als die Angst.
Für unsere Hunde können wir etwas ganz Wunderbares tun – wir können dafür sorgen, dass die Angst, der sie in einer Situation begegnen, möglichst klein ist – und die Motivation, sich fürs mutig Sein zu entscheiden, möglichst groß. Und vor Allem dafür, dass es sich lohnt, seinen Mut zu finden!
Es gibt vieles, das unseren Hunden mit Rucksack dabei hilft, ihren Mut zu finden – diese Dinge sind Gildins und mein Proviant auf seinem Weg ins Leben.
Viel zu vielen Hunden wird aber leider noch immer nichts davon zuteil, weil schwer ausrottbare Mythen zum Thema Angst nach wie vor durch die Hundelerwelt spuken.
Hier bedarf es dringend einer Myth-busting-Session mit Meister Gildin!
Mythos 1: „Zuwendung verstärkt die Angst! Ignorier deinen Hund, wenn er sich fürchtet!“
Um es auf den Punkt zu bringen: NEIN!
Grundübel ist, dass immer noch Verhalten und Emotion verwechselt werden, und das Argument hinter diesem Mythos lautet „Aufmerksamkeit verstärkt das Verhalten“.
Angst ist eine Emotion, kein Verhalten. Verhalten ist das, was wir von außen wahrnehmen, und jedem Verhalten liegt eine Emotion zugrunde.
Einzig sinnvoller Ansatzpunkt ist daher der an der Emotion selbst. Angst befindet sich definitiv im negativen Abteil der Emotionen – um ihr entgegen zu wirken, fügt man etwas Angenehmes hinzu.
Was das genau ist, ist individuell. Hätte ich den kleinen Terrier beim Unwetter unlängst lauthals lamentierend an mich gedrückt, hätte ich der Unwetter-Angst mit ziemlicher Sicherheit noch eine (verständliche) Weitere, vor meiner plötzlich distanzlos, hysterisch und unempathisch agierenden Person, hinzugefügt.
Was mein nicht anfassbarer Gildin allerdings sehr zu schätzen wusste, war meine Anwesenheit, da ihn die taubeneiergroßen Hagelkörner doch in Schrecken versetzt hatten.
Mein Da-Sein habe ich ihm natürlich nicht aufgezwungen, sondern zuerst einmal angeboten, nach der Rettung des kleinen, alten Terriers von der Terrasse und der Unterbringung in seinem Safe-Spot „Wigwam“, weg zu gehen.
Kaum war ich aus seinem Blickfeld, kam die kleine Nase mit missfälligen Tönen aus dem Filzhäuschen – also blieb ich, in unmittelbarer Nähe, nahm mir ein Buch und sagte ab und zu nette Dinge in den Wigwam.
Gildins „große Schwester“, das Mirli, suchte von sich aus meine Nähe und war mit Kontaktliegen in ihrem persönlichen Sicherheitsbereich, bei den teils sehr heftigen Donnerschlägen war dann meine streichelnde Hand und die ruhige Versicherung, dass alles gut ist, auch einem sonst sehr unerschütterlichem Schäfermädchen sehr willkommen.
Dieses individuelle Da-Sein, das vom dezenten Anbieten von Nähe bis zum gemeinsamen Verstecken unter der Decke und Zusammenkuscheln reichen kann, trägt im Englischen den schönen Namen „social support“, also soziale Unterstützung und ist für die Angst ein optimaler Gegenspieler, kein „Verstärker“!
Mythos 2: „Da muss der Hund durch, dann sieht er, dass er sich nicht zu fürchten braucht!“
Dieses Ding kommt oft gemeinsam mit Mythos 1 daher und klingt, als würde es nur in der ewig vorgestrigen Haudrauf-Ecke zuhause sein. Das Schlimme ist, dass das leider nicht zutrifft.
Ich habe sonst durchwegs liebevolle Hundehalter erlebt, die ihre angstgebeutelten Hunde in Shoppingcenter geschleppt, an stark befahrenen Straßen entlang gezwungen oder am Einkaufssamstag durch die Fußgängerzone gezerrt haben, weil man ihnen gesagt hat, dass man das tun muss! Weil der Hund es sonst nie lernt! Weil er nur so sieht, dass er sich nicht zu fürchten braucht, und ihm die Menschen, Autos etc. nichts tun!
Solche Ratschläge oder Trainingsanweisungen haben vor Allem einen Effekt – sie machen den Menschen am anderen Ende der Leine Angst. Genug Angst, dass sie ihren Hund Situationen aussetzen, denen er nicht gewachsen ist, die er nicht erträgt. Genug, um ihre innere Stimme, die ihnen sagt, dass das nicht richtig sein kann, zu knebeln – sonst lernt es der Hund ja am Ende nicht! Um sich von der inneren Stimme abzulenken, werden dann gern noch Übungen durchgeführt, die den Hund in den Gehorsam zwingen, das Ausdrucksverhalten abstellen, um nur ja zu verhindern, dass der Hund es nicht lernt!
Wenn solches „Training“ lang und/oder massiv genug durchgeführt wird, zeigt sich dann oft ein Bild, das so manchen tatsächlich glauben lässt, die Angst wäre jetzt weg. Schließlich hat der Hund aufgehört, sich zu gebärden und schleicht ausdrucks- und reaktionslos durch die Situationen, oder sitzt und rührt kein Ohr. Für Laien DAS Bild des braven, folgsamen Hundes.
Was er gelernt hat? Nein, nicht, dass er sich nicht zu fürchten braucht. Er hat gelernt, dass nichts, was er tut, etwas an seiner Situation verbessern kann. Er hat gelernt, dass sein Mensch in der angstauslösenden Situation kein verständnisvoller, helfender, zuhörender Partner ist, der ihm da raus hilft, sondern eine ziemlich harsche und ungute Figur, die nur dann Frieden gibt, wenn man sich als Hund quasi in Luft aufgelöst hat.
Die auf diesem Mythos fußende Methode kommt unter einem sehr bezeichnenden englischen Titel einher – „flooding“. Gemeint ist die völlige Überflutung mit den angstauslösenden Reizen – bei Hunden bis zur Aufgabe. Mehr muss man dazu nicht sagen.
Mythos 3: „Der hat Angst, der muss aber schlechte Erfahrungen gemacht haben!“
Ja, vielleicht. Aber nicht zwingend.
Gildins Angst vor Händen und Füßen lässt sehr konkrete Vermutungen zu – seine generell vorsichtige Reaktion auf Neues kann hingegen mehrere Ursachen haben. Auch wenn mittlerweile die Neugier ziemliche Oberhand gewinnt.
Ob ein Lebewesen auf einen per se nicht angsteinflößenden oder gefährlichen Reiz tendenziell mit Angst reagiert, kann eine viel größere Bandbreite an Ursachen haben, die teilweise schon im Bereich lange vor der Geburt liegen können.
Auch die Gene spielen hier mit. Nicht, welche Chromosomenpaare ein Lebewesen mit bekommt – aber sehr wohl, welche aktiv sind, begründet sich in den Lebensumständen der Generationen davor.
Kein Straßenhund, der arglos auf alles und jeden zu wackelt, wird eine Chance auf Vermehrung bekommen. Die 3.Generation im Massenshelter wird keine Vorfahren haben, die sich mit ihrem Nachwuchs nicht versteckt und jeden Bissen verteidigt hat (Ressourcenaggression hängt mit der Angst zusammen, etwas zu verlieren!).
Wie also Reize verarbeitet werden, ob sie direkt durchs „Notfallsystem“ des Gehirns geschossen oder begutachtet und rational beurteilt werden, liegt nicht nur an selbst gemachten Erfahrungen!
Auch nicht gemachte Erfahrungen stehen Schlechten in nichts nach, was das Angstpotenzial betrifft. Wächst ein Lebewesen in massiv reizarmer Umgebung auf oder lebt sehr lange in extrem beschränkender Umgebung, spricht man von Deprivation, also der Vorenthaltung von Umweltreizen und Anregungen. Bei Hunden aus dem Tierschutz meist in Kombination mit einem Mangel an Lebensnotwendigem.
Alles außerhalb dieser Umgebung ist neu, unbekannt und angsteinflößend.
Das trifft zum Beispiel auf kleine, alte Terrier zu, die ein Jahrzehnt in einer Holzhüttenecke verbracht haben, oder auch auf in Massensheltern von Welpe an aufgewachsene Hunde, denen die Welt außerhalb, der positive, häufige Kontakt mit Menschen etc. völlig fremd sind.
Dem wird gern entgegen gehalten – Achtung, nächstes Gespenst von Vorgestern und gleichzeitig Mythos 4 – dass „Hunde ausschließlich im Hier und Jetzt leben“
und man daher ihre Vergangenheit nicht berücksichtigen muss.
Ich weiß nicht genau, wer sowas in die Welt setzt. Menschen mit nur einem Trainingsschema vielleicht. Oder solchen, die sich nicht weiter mit dem Lebewesen Hund befassen wollen.
Oder solche, die denken, der Hund steigt dankbar aus dem Tierschutztransporter und beschließt, ab sofort eine tabula rasa zu sein.
Alles, was wir heute um Angst und ihre Ursachen wissen, kann uns das einfach nicht mehr glauben lassen. Schon Stress bei der Mutterhündin beeinflusst die neurobiologischen Abläufe und damit Reaktionen der Welpen im späteren Leben, gemachte und nicht gemachte Erfahrungen lassen sich nicht löschen wie von einem Whiteboard, all die Generationen davor spielen mit.
Ja, Hunde haben die ganz wunderbare Fähigkeit, im Augenblick zu sein – nicht nur diesbezüglich können wir eine Menge von ihnen lernen. Dennoch ist kein Hund ein unbeschriebenes Blatt, zu keinem Zeitpunkt.
Und genau deshalb ist es unsere Pflicht, sie in ihrer Gesamtheit zu sehen, auch mit ihrer Angst. Zu akzeptieren, dass diese da ist, ob uns das jetzt in den Kram passt oder nicht, und uns selbst weiter zu entwickeln, zu lernen und zu hinterfragen, damit unsere Hunde ihren Mut finden können.
Manchmal finden wir auf diesem Weg auch unseren Eigenen.
Denn eines, das dürfen wir nicht: unsere Hunde in ihrer Angst alleine und dort verharren lassen. Und das ist nur ein Grund, warum es die Silberfunken gibt – Hunde ihren Mut finden zu lassen.
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