Teil 12
Wo sind wir?
Ziele im Training sind mir wichtig – die Kleinen, die auf dem Weg liegen, genauso wie die Großen, in deren Richtung es gehen soll.
Starre Ziele erweisen sich aber oft als enorme Bremsklötze, deshalb werden sie immer wieder hinterfragt und angepasst. Dazu braucht‘s ab und an eine kleine Ortung – wo stehen wir? Wie sind wir unterwegs? Und vor Allem - was sagt Hund dazu?
Warum mein Fotospeicher immer voll ist…
Ich verlasse mich nicht nur auf mein Gedächtnis. Erstens wird das mit den Jahren nicht besser, zweitens ist es immer selektiv und zeigt mir nach drei Monaten mit ziemlicher Sicherheit kein exaktes Bild einer Situation.
Deshalb habe ich einen chronisch überfüllten Fotospeicher auf dem Smartphone – ich fotografiere zum Einen fürchterlich gern meine Hunde, weil sie einfach so unglaublich toll und entzückend sind und so viele wunderbare Dinge tun, zum Anderen dokumentiere ich unser Treiben, um es mit etwas zeitlichem Abstand später betrachten zu können.
Wie war das doch gleich…?
Auch für uns Menschen ist jede Situation mit Emotionen verknüpft – die beeinflussen natürlich unsere Wahrnehmung in diesem Moment genauso wie später. Zusätzlich neigen wir dazu, betriebsblind zu werden, wichtige Kleinigkeiten nicht mehr wahrzunehmen, eine dicke Brille beim Betrachten des eigenen Tuns zu tragen. Das Ziel über den Weg dahin zu stellen.
Ich kann wirklich nur jedem empfehlen, sich ab und zu selbst z.B. beim Üben oder Unterwegssein mit dem eigenen Hund zu filmen oder filmen zu lassen, und sich das im Optimalfall mit etwas zeitlichem Abstand anzusehen und/oder eine qualifizierte Trainerperson mal drüber schauen zu lassen.
Das geht auch in Zeiten einer Pandemie gut, wenn Training vor Ort nicht möglich ist.
Wir können es immer besser machen als gerade jetzt. Um die Luft nach oben auch nutzen zu können, gehört einfach auch Selbstreflexion.
Sucht aber nicht nur die Rosinen im Kuchen (Anm.: Ich finde Rosinen grauenhaft!), sucht auch nach den Schokostückchen. Belohnt euch selbst damit.
Der Energiekick fürs Durchhalten!
Der Weg mit einem Hund mit Rucksack kann lang und kräftezehrend sein, manchmal hat man das Gefühl, fest zu stecken, man zweifelt, verliert die Motivation und den Blick für die Erfolge.
Das es auch durchaus vorkommen kann, dass vom Umfeld nicht immer konstruktive, motivierende Rückmeldungen kommen, ist es wichtig, zurückzuschauen und sich selbst zuzuschauen.
So findet man auch echte Freudenmomente, mit denen man vielleicht gar nicht gerechnet hätte, weil man z.B. in diesem Moment des Trainings den Focus auf etwas Anderem hatte, der Hund aber abgesehen davon etwas Tolles angeboten hat.
Man erinnert sich plötzlich wieder, wo man begonnen hat und sieht, was man schon alles geschafft hat. Seid lieb zu euch – seht Fehler, die ihr vielleicht feststellt, als Info, die euch in der Weiterentwicklung helfen. Lobt euch selbst für alles Erreichte, überseht die kleinen, guten Dinge nicht! Auch Sehen und Wahrnehmen will gelernt sein – es lohnt sich!
10 Wochen mit Meister Gildin – wie es war, wie es ist
Manchmal habe ich das Gefühl, der kleine, alte Terrier war schon immer hier. Es ist aber wichtig, sich bewusst zu sein, wie kurz seine Zeit bei mir in Relation zu seinem ganzen, bereits recht langen Leben erst ist, um das Gefühl für das Lerntempo nicht zu verlieren. Heute schauen wir einmal, an zwei Beispielen, was er bis jetzt geschafft hat und was sich verändert hat.
Reaktion auf Kontaktaufnahme
Dieses Bild zeigt Gildin am zweiten Tag, wenn man ihn ansah – nicht mal ansprach – allein Blicke taten weh und machten Angst.
Schon dezente Ansprache aus einiger Entfernung ließ ihn sofort ins Meiden gehen. Die schützende Höhle verließ er nur für dringliche Erledigungen, wenn niemand im Raum war.
Gildin heute – ruft man „Meister Gildin!“, kommt binnen Augenblicken eine kleine Nase um die Ecke, der Blick ist offen und positiv erwartungsvoll.
Möchte er mal nicht gestört werden, tut er das mit einem kleinen Grunzen kund und muss nicht mehr im letzten Winkel verschwinden.
Er hat die Wahl, und das gibt ihm Sicherheit.
Aus der Hand fressen
Die Silberfunken-Leser_innen wissen, dass ich ausschließliche Handfütterung als vermeintliches Tool zum Beziehungsaufbau absolut ablehne. Auch ein innerer Konflikt ist aversiv.
Einen hungrigen Hund dazu zu bringen, sich dem Menschen zu nähern, weil das seine einzige Möglichkeit ist, an Nahrung zu kommen, ist Zwang.
Mit einem Hund, dessen Grundbedürfnisse bedingungslos gestillt sind, das Leckerli-Nehmen aus der Hand als praktisches Werkzeug für den weiteren Weg zu erarbeiten, ist Training.
Und ja, es funktioniert auch mit einem Hund wie Gildin, für den die Hand ein enormer Angsttrigger war.
Auch hier arbeiten wir nach unserem Grundsatz, dass Hund auch Nein sagen darf, und auch dafür belohnt wird. Niemals war Gildins einzige Möglichkeit, an den Leckerbissen zu kommen, ihn aus meiner Hand zu nehmen.
Und das soll klappen?
Der Anfang
Die Hand liefert Gutes...
und geht wieder weg, damit Gildin in Ruhe naschen kann.
Der nächste Schritt war für Gildin eine Herausforderung…
Die Hand bringt Gutes…
und bleibt noch ein Wenig, weil sie noch mehr Gutes hat, ...
das sie dem kleinen Terrier zuschiebt.
Zu diesem Zeitpunkt war die Handhaltung noch stark ausschlaggebend – Daumen, Ring- und kleiner Finger mussten eingezogen sein, damit die Hand nicht zu bedrohlich wirkte.
Nach circa drei Wochen konnte Gildin Frischkäse von einem Finger schlecken.
Wir sind hier allerdings noch lange nicht am Ziel – sein Gesicht zeigt noch, dass das keine leichte Übung ist.
Weitere zwei Wochen später…
Gildin nimmt mit entspanntem Gesichtchen Leckerli aus der offenen Hand, wenn sie am Boden liegt.
Da geht noch was…
Nämlich auf die in Augenhöhe angebotene Hand, die in Konkurrenz zur gefüllten Futterschüssel steht, zuzugehen und sie nicht nur leer zu essen, sondern noch genüsslich die Finger abzuschlecken.
Wozu das Ganze?
Einen Hund mit der Hand führen zu können, ist ein unheimlich praktisches Trainingstool.
Hunde wie Gildin hatten keinen Welpenkurs, in dem er das hätte lernen können. Wir haben ganz weit im Minus begonnen, wo die Hand ein Instrument des Schreckens für den kleinen Terrier war. Heute ist sie ein Quell des Guten, dem man schon draußen, wenn der Wind Lärm macht und Autos vorbei fahren, auf seine Decke folgen kann.
Das Video zeigt den ersten Übungsdurchgang – fertig sind wir natürlich noch lange nicht.
Die nächste Station wird ein „Handtouch“ (das Berühren der Hand mit der Nase) sein – wenn der kleine Terrier mir zeigt, dass er dafür bereit ist.
Ich habe es selber sehr genossen, diesen Silberfunken zu schreiben, weil mich der Spaziergang durch die Galerie daran erinnert hat, wo wir vor kurzer Zeit begonnen haben.
Ich bin unheimlich stolz auf den kleinen Terrier.
Einen Schritt nach dem anderen setzt er mutig mit seinen kleinen Pfötchen – und das Schwänzchen lernt schon, dass es zum Wedeln da ist, und sich nicht mehr verstecken muss!
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