Teil 10
Lernen kann doch jeder!
Stimmt. Und Lernen passiert auch ständig – sogar über den Wachzustand hinaus. Bei Mensch wie Hund.
Lernen passiert in großen und kleinen Situationen und Zusammenhängen, und auch dann, wenn wir es gerade nicht wollen. Ein kleiner Haken an einer grandiosen Sache, den es immer zu bedenken gilt, da es zum größten Teil in unserer Hand liegt, dass dieser Haken unsere Hunde möglichst wenig behindert und möglichst wenig Schaden am Gesamtbild entstehen kann.
Lernen kann man mit jedem! Oder?
Meine Pflicht der Achtsamkeit als Lernbegleitung beginnt damit, mir stets bewusst zu sein, wie mein Hund mich als Begleitung in der Lernsituation wahrnimmt – bei diesem Teil des Bildes führen allein wir den Pinsel, und tragen damit eine enorme Verantwortung. Denn schließlich ist es genau das, was die Qualität unseres gemeinsamen Weges ausmacht.
Für Gildin war ich zu Beginn unseres Weges nur eines von unzähligen, potenziell mordsgefährlichen Ungeheuern in seiner kleinen, zerstörten Welt.
Aus diesem Image muss ich mich Stück für Stück herausarbeiten, damit Lernen im Sinne von Inhalten, die bisher in seinem Leben nicht vorkamen und nun bewusst mit meiner Begleitung erarbeitet werden sollen, überhaupt möglich ist.
Wie es ankommt, wo es ankommen soll...und wie nicht.
Angst und Stress sind die unerreichten Spitzenreiter unter den Lernblockern.
Was nicht daran liegt, dass Hund beschlossen hat, uns fies zu finden und deshalb das Lernen verweigert. Es sind grundlegende neurobiologische Prozesse, die bestimmen, welchen Weg ein Reiz in unserem Gehirn nimmt, und damit, welche Reaktion er hervorruft.
Vereinfacht beschrieben passiert Folgendes:
Unter Angst und Stress, wie sie z.B. in Gegenwart einer Bedrohung (als die auch der Hundehalter wahrgenommen werden kann!) oder des Erlebens von Ausgeliefert-Seins herrschen, entscheidet ein eher einfach gestrickte Ur-Teil des Gehirns (die Amygdala), was zu tun ist – Hund lernt nicht, Hund reagiert. Der nächste Stresshormonschub ist draußen, bevor irgend etwas Anderes mit diesem Reiz hätte passieren können, und damit landet auch der nächste Lernreiz ebenfalls nicht dort, wo wir ihn gerne hätten.
Der Reiz gelangt gar nicht erst in die Großhirnrinde, um dort prozessiert und zum ersten Teilstück eines Lernweges werden zu können.
Beispiele dafür bieten oft diverse Quickfix-Trainings, die für oft jahrelang bestehende Verhaltensprobleme Schnelllösungen anbieten, viele auf „körpersprachlich“, „ohne Leckerli“ oder auf eigenen Definitionen zu „Bindung“ etc. beruhend.
In solchen Settings zeigen die Hunde im Anschluss (logischerweise) nicht, dass sie gelernt haben, eine Situation neu, nämlich neutral bis positiv, wahrzunehmen und daher selbst besser damit umgehen zu können, indem sie selbstständig auf gutes Alternativverhalten zurückgreifen können.
Gezeigt wird Verhalten zur Schadensvermeidung, welches das nicht Gewünschte ablöst und dahinter steht nun mal kein umfassender, ganzheitlich zielorientierter Lernprozess. Dieses Verhalten kann auch das „Reptilienhirn“ abspulen, wenn nötig. Und das ist für mich NICHT das Ziel von Training.
Training bedeutet, echtes Lernen zu ermöglichen. Training hat einen persönlichen Zugewinn für ALLE Beteiligten zum Ziel zu haben. Alles Andere ist für mich mit dem Begriff Training unvereinbar.
Ich weiß, dass jeder, der dies liest, (höchst verständliche) Sympathien für den kleinen, alten
Terrier hegt. Der ja, wenn für ihn nötig, seinen Unmut über Grummeln zuverlässig kundtut.
Nehmen wir an, ich dächte nicht mal bis zur nächsten Ecke und würde euch hier stolzgeschwellt berichten, dass ich das Grummeln, weil ich es, statt als höchst willkommene Meinungsäußerung und Vorwarnung, als ungebührliches Verhalten mir als Besitzerin gegenüber wahrnähme, körpersprachlich in 10 Minuten abstellen würde. (Ginge, keine Frage.) Anbei wäre ein Video vom jetzt stummen kleinen alten Terrier im Freeze wieder in seiner Ecke, der nicht mal murrt, wenn ich ihn stupse. Dazu denkt ihr euch, ich würde ihn als endlich entspannt, Berührungen akzeptierend bezeichnen.
Ich ahne, was ihr dächtet. Und ihr hättet vollkommen Recht!
Worum ich euch bitte ist, ab nun nicht nur bei euch virtuell bekannten kleinen, alten Terriern so zu denken, sondern bei ALLEN Hunden. Egal wie groß. Oder laut. Oder bullig. Oder gestreift.
Die Emotionen sind die Gleichen...vergessen wir das nie!
Auch nicht, dass wir es in der Hand haben.
Voraussetzungen für Training und Lernen
Erste Voraussetzung, die gegeben sein muss, bevor wir überhaupt erst daran denken, mit unserem Hund zu arbeiten, ist die Gesundheit und Schmerzfreiheit des Hundes.
Ein Vet-Check nach angemessener Eingewöhnungszeit und vor Trainingsstart hätte schon so manchem Hund viel sinnloses Gemurkse und ihren Hundehalter_innen viel Frust, Verzweiflung und graue Haare erspart.
Am Verhalten eines Hundes mit unbehandelter Schilddrüsenstörung, Schmerzen im Bewegungsapparat, einem Maul voller kaputter Zähne oder schlechten Organwerten basteln zu wollen, ist milde ausgedrückt unsinnig.
Bei Gildin endeten mit der Maul- und Krallensanierung jahrelange Schmerzen – und nachdem er sich erholt hatte, war nicht zu übersehen, dass er sich nach unendlich langer Zeit richtig gut fühlte.
Für mich das Startsignal – lass es uns angehen!
Zweite Voraussetzung ist die Schaffung oder Auswahl einer gedeihlichen Lernumgebung.
Hätte ich ohne Proviant und Toilette am Pannenstreifen einer Autobahn Vokabeln und Mathe lernen müssen, hätte meine Schullaufbahn wohl früh geendet.
Die Lernumgebung soll für den Hund ablenkungsarm, vertraut und positiv belegt sein.
Wie fangen wir es an?
Bei der Arbeit mit einem nicht anfassbaren Hund wie Gildin ist die Lernumgebung absolut ausschlaggebend dafür, ob überhaupt ein Ziel erreicht werden kann.
Bei ihm ist durch seinen mitgebrachten Angstrucksack eine direkte Anleitung und Belohnung erst einmal nicht möglich. Und wie jedem Hund komme ich ihm deshalb so weit wie möglich und nötig entgegen.
Es spricht übrigens nichts dagegen, dies auch für rucksacklose Hunde zu tun. Im Gegenteil.
Das bedeutet, dass ich mir lange vor der ersten Lernsequenz die wichtigsten, grundlegenden Basisziele, die wir für unseren weiteren Weg brauchen werden, überlege.
Die Rede ist nicht von Sitz oder Platz auf Ansage.
Wir werden es brauchen, dass der kleine, alte Terrier neugierig und mit positiver Erwartungshaltung auf Neues in seiner Umgebung reagieren kann.
Dass er veränderte Situationen nicht reflexartig vermeidet, sondern begutachtet und beurteilt. Dass er lernt, dass sich Ausprobieren und Wagen lohnt.
Dass er mich Stück für Stück als unterstützende Lernbegleitung wahrnehmen kann.
Deshalb starte ich damit, neue Dinge und neue Handlungsmöglichkeiten in seiner vertrauten Umgebung so zu platzieren, dass sie sich anbieten, ihm aber die Auswahl lassen, ob, was und wie er damit tut. Selbstbestimmtheit statt Funktionszwang und starre Ziele erspart uns unzählige Umwege.
Diese Dinge sind stets dicht mit besonders guten, kleinen Leckereien bestückt.
Hier lernt Gildin genau auf diese Art einen später wichtigen Gegenstand kennen – sein Sicherheitsgeschirr:
Das aktive Belohnen starte ich damit, ihm zwischendurch, zusätzlich zu den selbst gefundenen Leckerchen, zb kleine Wurststückchen hin zu werfen.
Damit konnten wir die Angst vor dieser Handbewegung bereits gut bewältigen.
Die Belohnung aus der Hand nehmen zu können, liegt noch in der Zukunft.
Aber mit Achtsamkeit, Ruhe und Überblick wird es irgendwann der nächste Schritt sein.
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